Gesundheitswirtschaft.info (Teil 6)
In Deutschland leben heute laut Bundesgesundheitsministerium rund 1,1 Millionen Menschen, die an Demenz erkrankt sind. Bis zum Jahr 2030 wird sich diese Zahl auf ca. 1,7 Millionen erhöhen. Unter der Leitung von Prof. Dr. Gabriele Wilz und Prof. Dr. Renate Soellner wird seit Juli 2008 bis 2010 erforscht, in welchem Maße pflegenden Angehörigen die Belastungen im Umgang mit demenzkranken Verwandten durch gezielte telefonische Beratung erleichtert werden kann. Gabriele Wilz leitet am Institut für Psychologie und Arbeitswissenschaft der TU Berlin das Fachgebiet Klinische und Gesundheitspsychologie, Renate Soellner an der FU Berlin den Arbeitsbereich Evaluation, Qualitätssicherung und -management in Erziehungswissenschaft und Psychologie.
Die Zeiten, in denen Familien über mehrere Generationen hinweg gemeinsam in einem Haushalt lebten und einander unterstützten, gehören hierzulande meist der Vergangenheit an. Dennoch werden die meisten älteren Menschen heute größtenteils von Familienangehörigen gepflegt. „Zahlreiche Untersuchungen haben in den vergangenen drei Jahrzehnten aufgezeigt, dass insbesondere pflegende Angehörige von Demenzkranken ein erhöhtes Risiko haben, gesundheitliche Beeinträchtigungen zu entwickeln“, sagt Prof. Gabriele Wilz. Zu 70 Prozent seien Frauen die Pflegenden, bei ihnen würden häufig Ängste und depressive Störungen diagnostiziert. „Alle nationalen wie internationalen medizinischen Leitlinien fordern eine adäquate Schulung und Unterstützung der pflegenden Angehörigen als integralen Bestandteil der Behandlung von Demenzen“, sagt Gabriele Wilz.
Während des Projektes soll eine ökonomische, unter Alltagsbedingungen durchführbare innovative psychotherapeutische Intervention für pflegende Angehörige von Demenzkranken auf ihre Wirksamkeit getestet werden. Die Angehörigen sollen darin unterstützt werden, akute Probleme zu lösen, und ihre eigenen Ressourcen zu stärken. „So soll das subjektive Belastungserleben reduziert werden, und wir hoffen, positiv auf depressive Symptome, Körperbeschwerden und die Lebensqualität der Angehörigen einzuwirken“, beschreibt Prof. Gabriele Wilz das Ziel des Projektes. Im Unterschied zu bisherigen Programmen, etwa der Gruppenbetreuung von Angehörigen, erhoffen sich die Psychologinnen auch, mehr betroffenen Angehörigen besser zu helfen. „Bei Gruppentherapien haben viele Angehörige Schwellenangst, ein solches Angebot überhaupt anzunehmen. Außerdem fehlt ihnen häufig die Zeit dazu – schließlich können sie demente Verwandte eigentlich nie allein lassen“, erläutert Prof. Gabriele Wilz die Idee.
Ausbruch aus der sozialen Isolation
Die Intervention besteht aus insgesamt sieben Terminen. Zunächst werden in einem ersten, etwa zweistündigen persönlichen Gespräch die Probleme der Probandin analysiert und Ziele zu deren Lösung definiert. Außerdem wird aufgezeigt, wie diese Probleme gelöst werden können. Die in der darauf folgenden Woche beginnenden sechs telefonischen Interventionen (jeweils einstündig) erfolgen in den ersten drei Wochen in wöchentlichem Abstand, die nächsten beiden telefonischen Interventionen folgen in zweiwöchigem Abstand, die abschließende telefonische Intervention nach einem weiteren Monat. Die gesamte Interventionsphase erstreckt sich auf drei Monate. Daran anschließend erfolgt nach einer Woche eine erste Befragung, nach weiteren sechs Monaten die Folgeuntersuchung. Die Interventionen werden von klinischen Psychologinnen mit Qualifikation in kognitiver Verhaltenstherapie durchgeführt.
„Wir hoffen, dass die Probanden mit unserer Unterstützung besser mit Verhaltensauffälligkeiten und Persönlichkeitsveränderungen der oder des Erkrankten umgehen lernen und ihre soziale Isolation durchbrechen können“, sagt Prof. Gabriele Wilz. Während der Studie wird mit verschiedenen Beratungsstellen, Kliniken und anderen Institutionen im Raum Berlin und Brandenburg zusammengearbeitet. Die Stichprobe umfasst weibliche und männliche pflegende Angehörige, die nach dem Zufallsprinzip drei Studiengruppen zugeteilt werden. Während eine der drei Gruppen wie oben beschrieben betreut wird, erhält eine zweite Gruppe eine Anleitung in Entspannungsmethoden und eine dritte die Regelversorgung.
Um die Telefonberatung zu evaluieren werden vor der Beratung, eine Woche nach Abschluss der Beratung sowie nach weiteren sechs Monaten mit allen drei Studiengruppen Befragungen in Form von Fragebögen zu Belastungsmaßen vorgenommen. Die Ergebnisse werden anschließend miteinander verglichen. Die Befragungen werden von Projektmitarbeiterinnen im Hausbesuch oder in den Räumlichkeiten kooperierender Institutionen durchgeführt. Die Teilnahme an der Studie ist nicht mit Kosten verbunden. „Wir erwarten, dass die pflegenden Angehörigen lernen, besser mit Problemen, die sich während der Pflege ergeben, umzugehen. Letztlich wird sich das auch positiv auf den an Demenz erkrankten Patienten auswirken“, so Gabriele Wilz.
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